Durchfechter

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Friedrich Hubert Esser: In der Gesellschaft ist es leider Gottes so, dass gerade die Elternhäuser ihre Kinder lieber studieren sehen, als sich in einem Betrieb ausbilden zu lassen. Das führt zu der Schieflage, die wir jetzt haben. Wir sprechen von einem erheblichen Fachkräftemangel, der sich in Deutschland nicht nur andeutet, der schon da ist. Und gerade auch für den Bereich des Handwerks möchte ich das noch etwas pointieren und sagen: Wir stehen hier vor einer Fachkräftekatastrophe. #00:00:31-0#

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Corina Niebuhr: Hallo und herzlich Willkommen beim Durchfechter. Friedrich Hubert Esser ist Bildungsforscher und Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung. Er selbst startete in die Berufswelt mit einer Bäckerlehre. Und das hat er nie bereut. Im Gegenteil: Das war der Karriereweg, der am besten zu ihm passte. Warum sollten das junge Menschen heute nicht auch tun dürfen? Esser bemängelt, dass viele Jugendliche mittlerweile fast schon zum Studium gedrängt werden. Meist von den Eltern. Aber das schafft jede Menge Probleme. Nicht nur bei den Betroffenen selbst. In dieser Folge erzählt Friedrich Hubert Esser warum die Berufsausbildung in den vergangenen Jahrzehnten an Ansehen verloren hat. Und was das mit unserer Gesellschaft macht. Er räumt mit Klischees rund um die Berufsbildung auf und hat auch einen guten Rat für Gymnasien parat. Mein Name ist Corina Niebuhr und ich wünsche euch nun viel Spaß mit Friedrich Hubert Esser. Dessen Herz nach wie vor für das Handwerk schlägt. Auch wenn seine eigene Bäckerlehre über vierzig Jahre zurückliegt. #00:02:19-0#

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Friedrich Hubert Esser: Meine Eltern hatten einen Fleischereibetrieb und privat war ein System. Und das heißt, wir hatten ein Wohn-Geschäftshaus, wie das so schön heißt. Unten war der Betrieb, das Ladenlokal, die Wurstküche, also die Werkstatt. Und oben drüber haben wir gewohnt. Das heißt, das war ein System. Es war ganz normal, dass wir mit den Mitarbeitenden im Betrieb zusammen gefrühstückt, Mittag gegessen haben. Dass Kunden auch nach Feierabend bei uns waren und noch was abgeholt haben, was sie vergessen hatten oder wie auch immer. Das heißt also, es gab keinen Unterschied zwischen Privatem und Beruflichem sozusagen. Ja, dann ist man quasi in einer Handwerkskultur groß geworden. Wo auch bestimmte Dinge eine Rolle spielten. #00:03:11-8#

Friedrich Hubert Esser: Was kann ich dem Holz abverlangen, was steckt in dem Holz drin? Und eben die Liebe zu dem Werkstoff. Das Funkeln in den Augen, ne? Was ist das für ein tolles Stück Holz. Diese, ja, dieses Eingehen mit dem Beruf. Das Verbinden mit diesem Beruf. Gibt auch natürlich andere Bereiche, wo das auch der Fall ist. Ich will das gar nicht so / Aber das fand ich immer am Handwerk so das faszinierende. Die sind verliebt in ihren Beruf. Bei den Tischlern kann ich noch ein anderes Beispiel nennen. Ein Kunde gibt eine Schrankwand in Auftrag. Und der Tischler fängt an diese Schrankwand zu bauen. Und vergisst nachher, Weil er so viel Spaß an dieser Arbeit hat und so kreativ und innovativ ist, vergisst er total die betriebswirtschaftliche Seite. Und er merkt gar nicht, dass er fünfzig Stunden mehr an diesem Teil gearbeitet hat als er an sich musste, um, ich sage mal, den Gewinn auch nachher im Gesamtpreis unterzubringen. Das ist natürlich betriebswirtschaftlich sehr schlecht. Aber es drückt nochmal so das aus, was für mich so einen Handwerker ausmacht. Nicht jetzt im Grunde die mangelnde BWL, um Gottes Willen, sondern dieses Kreative und was ja schon teilweise auch was mit Kunst zu tun hat. Wenn man dann doch so kreativ und verliebt in seine Arbeit ist, dass man gar nicht mehr merkt, wie lange und wie intensiv man unterwegs ist in diesem Bereich. Und dann sind wir natürlich auch, letzter Satz dazu, wirklich bei der Kunst angelangt. Wenn ich mal nachdenke darüber, wie lange Michel Angelo an seinem David gearbeitet hat, ja? Da erzählen uns ja auch immer die Historiker: Der hat kaum geschlafen und nichts mehr anderes gemacht, als an diesem Kunstwerk zu arbeiten. Und das ist so etwas, was auch ein Stück weit in einem Handwerker, in einer Handwerkerin steckt. Das ist das, was Handwerk ausmacht. Und deshalb habe ich nie die Bindung zum Handwerk verloren. #00:05:59-0#

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Friedrich Hubert Esser: Das, was ich im Grunde genommen bei meinen Eltern gelernt habe, habe ich für den Bereich der Bäckereien, für mich übernommen. Ich habe ja meine Ausbildung nach der sogenannten mittleren Reife in der Schule begonnen. Und das war nochmal für mich eine ganz wichtige, andere Erfahrung. Ich kannte den Handwerksbetrieb natürlich von zuhause. Aber ich sage mal, in einem fremden Betrieb nochmal entsprechend zu lernen, ist nochmal etwas ganz anderes. Zuhause bin ich der Sohn vom Chef. Und da war ich auf einmal ein ganz einfacher Lehrling. Und habe natürlich dann auch, und dafür bin ich sehr, sehr dankbar, sehr viel mehr gelernt über das, was Arbeitnehmertum ausmacht. Was es eigentlich heißt Arbeitnehmer zu sein. Und das unterscheidet sich doch ein Stück weit von dem, was so ein, ja, ein selbstständiger Meister denkt. Und welche Ansprüche er hat. Und das war für mich eine ganz, ganz wichtige Erfahrung. Das andere, ja, mit dem frühen Aufstehen, das war ein Stück weit zweigeteilt, muss ich sagen. Das eine war, wir hatten gesetzliche Vorschriften seinerzeit. Das war 1977 als ich meine Lehre begonnen hatte. Da durften die Auszubildenden erst um sechs Uhr mit der Ausbildung beginnen. Das hatte was mit dem Jugendarbeitsschutzgesetz zu tun. Aber die Krux war, wenn man dann erst um sechs Uhr kam, da war schon/ die Hälfte war schon passiert. Somit bin ich dann einfach auch schon früher gekommen. Natürlich um alles mitzubekommen. Weil das Ziel war, man sollte/ Und das macht auch den Spaß an einer Ausbildung aus. Wenn man irgendwann, ich will jetzt nicht sagen, eine vollwertige Kraft, aber möglichst schon in einem Team integriert bestimmte Arbeiten machen kann. Das heißt also, weg vom Zugucken und Anreichen und Beobachten, mehr der aktive Produktionsfaktor zu werden. Das war auch meine Motivation, dann doch früher aufzustehen, damit man alles mitbekommt. Und im Unterschied zu heute, deshalb sage ich auch, die Ausbildung war kein Zuckerlecken, war da gar nichts digitalisiert. Das heißt, das erste, was wir gemacht haben, war die Mehlsäcke aus dem Keller zu holen. Aus dem Lager zu holen. Ja, das war nicht nur schwer, das war auch anstrengend. Und vor allen Dingen dann, wenn man abends noch mit den Freunden unterwegs war und nur vier, fünf Stunden geschlafen hatte, da war das natürlich auch die richtige Arbeit zu Beginn, um wieder richtig wach zu werden. #00:08:36-1#

Friedrich Hubert Esser: Hatte keine Lust mehr. Und brauchte wirklich mal was anderes. Und die Ausbildung hat mir genau das andere gegeben. Das ist auch für mich total interessant, auch in der Rückschau. Dass ich über die Arbeit im Betrieb und über all das, was das „Lernen im Betrieb“ ausmacht, wieder Spaß bekommen habe an Schulunterricht. Also in der Berufsschule. Das war der Effekt, wo ich auf einmal wieder anfing mich für Fächer zu interessieren. Was in der Allgemeinbildung ein bisschen weg war nachher. Von daher würde ich das heute wieder genauso machen. Und kann auch nur jungen Leuten empfehlen da Vertrauen zu haben. Es galt ja mal der Spruch: Wenn Kinder von Akademikern eine Berufsausbildung machen, ist das ein Bildungsabstieg. Ja, sowas Dummes hat man in der Gesellschaft kolportiert. Und da kann ich nur vor warnen, vor sowas. Sondern jeden ermutigen, der auch mal sagt: „Jetzt mit meinem Abschluss“, ob es die mittlere Reife oder das Abitur ist, ist egal: „Jetzt bin ich mal froh, dass Schule zu Ende ist.“ Gibt da so ein schönes Lied von Alice Cooper, das heißt „School Out“. Das soll man sich ruhig trauen, eine Ausbildung machen. Und wir reden ja auch von der Durchlässigkeit in der beruflichen Bildung. Auch wenn man danach wieder in die Hochschule will, da ist nichts verbaut. Man hat eine andere Erfahrung, man hat einen anderen Horizont. Und der macht vieles möglich. An meinem Beispiel kann man es sehen, ich hätte auch weitergehen können in Richtung Meisterprüfung. Und bei mir ist es eben anders gekommen und ich habe meinen akademischen Weg gemacht. Und meine Behauptung ist nach wie vor: Das habe ich alles der Berufsausbildung zu verdanken. #00:10:25-0#

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Friedrich Hubert Esser: In der Schule geht es darum, ich sage jetzt mal, eine gute Note in einem Fach zu schreiben. Bei uns ist es so, dass in den Betrieben andere Anerkennungskriterien auch Gültigkeit haben. Wie beispielsweise bestimmte Dinge als selbstverständlich zu leben. Schlüsselqualifikationen: pünktlich sein, verlässlich sein. Damit fängt es an. Im Team arbeiten, kundenorientiert sein, betriebsloyal sein, fleißig sein. Das sind so Dinge, die eine hohe Anerkennung im Betrieb finden. Und wenn sich das dann verbindet, auch mit einer Motivation zu lernen von der, ich sage das mal so, von der Beistelllehre. Sprich: das Schauen, das Zugucken, das Beobachten, in den Workflow zu kommen, in das Mitarbeiten zu kommen. Das sind Dinge, die dann ganz andere Wirkungen auf die Persönlichkeit haben als in der Schule. Wo es doch da mehr darum geht/. Und ich möchte Schule um Gottes Willen nicht schlecht reden, aber das ist eben der Unterschied. Wo es eben darum geht in den Fächern zu denken, da Dinge zu lernen, das in Klausuren wiederzugeben oder in Klassenarbeiten. Dann kommt das nächste Thema dran. Das ist natürlich in den Betrieben viel, viel anders. Und dann ist natürlich auch gleichermaßen beschrieben, was die Berufsbildung auch von der Schule unterscheidet, wenn es um Persönlichkeitsentwicklung geht, ja? Gerade auch bei uns im dualen System wird ja in der „Ernst-Situation“ gelernt. Das heißt, es ist nicht irgendwie so außen vor im Elfenbeinturm, sondern man lernt im Kontext dessen, was nachher im Beruf auch gefordert ist. Das ist natürlich auch ein großer Vorteil mit Blick auf die Verwendbarkeit dessen, was ich gelernt habe, ja? In verschulten Berufsbildungssystemen ist es oft so, dass man bei dem Schritt „hinaus aus der Schule, hin in den Arbeitsmarkt“ große Probleme hat sich zurechtzufinden. Im Betrieb warm zu werden. Auch gerade diese Kriterien aufzunehmen, die ich gerade ein Stück weit beschrieben habe. Und hier sind die Übergänge bei uns, wenn man im dualen System gelernt hat, in den Arbeitsmarkt fließend. Im Grunde genommen ist das dann nicht mehr der Sprung ins kalte Wasser, sondern man ist dann schon sehr gut auf die Praxis in den einzelnen Branchen auch vorbereitet. Wichtig ist natürlich: Berufsbildung ist in Deutschland ein Standortfaktor, ja? Wir sind ja ein Land, eine Wirtschaft, die sehr stark auf die Facharbeit der Menschen setzt. Wenn Sie denken, dass über eine Million junge Menschen nach wie vor in Deutschland ausgebildet werden. Aber berufliche Bildung ist nicht nur Qualifizierung und Vorbereitung auf das Arbeitsleben, sondern Berufsbildung zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie einen Beitrag leistet zur Sozialisierung von Menschen. Zur Erziehung von Menschen. Zur Bildung von Menschen. Bildung hier meint natürlich auch der Blick über den Tellerrand. Auch Dinge zu erfahren, kennenzulernen, die jenseits, ich sage mal, der verwertbaren Lernziele am Arbeitsplatz sind. Somit leistet die berufliche Bildung auch etwas, was wir alle in diesem Land wollen. Das heißt, Menschen, die in unsere demokratische Grundordnung hineinwachsen. Die Teilhabe dann auch haben. Und somit auch in unserem Land mitgestalten. Und somit nehmen wir auch vielen, ich sage mal, die Mühen weg, die man aufnehmen muss, wenn man Menschen beispielsweise helfen muss. Weil sie gering qualifiziert oder gar nicht qualifiziert sind. Weil sie in die Armut abrutschen. Und hier ist berufliche Bildung natürlich auch so etwas wie Prävention. Und mit Blick auf Arbeitsmarktverwertbarkeit auch in vielfältiger Hinsicht auch so eine Art Versicherung. Das teilen wir mit der Schweiz und mit Österreich. Wo ja auch das duale System zuhause ist. Und wir sehen, dass hier auch gleiche Effekte generiert werden. Wenn Sie mal schauen, wir sind als Deutschland die viertstärkste Volkswirtschaft in der Welt. Die Österreicher und Schweizer tun sich auch mit einer starken Volkswirtschaft hervor. Und ohne Zweifel ist hier auch zu erkennen, dass die Art und Weise wie wir qualifizieren, wie wir den Fachkräftenachwuchs entwickeln, dass das gerade auch auf die Vorteile zurückzuführen ist, wie sie im dualen System entsprechend angelegt sind. Wir beobachten ja hier bei uns in Deutschland, dass wir ja einen sehr erfolgreichen Mittelstand haben. Man sagt ja auch: Mittelstand und Handwerk sind das Rückgrat der Wirtschaft. Das hat natürlich Gründe. Und die sind vor allem darin zu suchen, dass es immer wieder gelingt mit dem Strukturwandel Schritt zu halten. Beziehungsweise auch ein Stück weit den Strukturwandel zu gestalten. In der Berufsausbildung gibt es natürlich da im dualen System auch ein paar ganz, für mich, markante Punkte. Wo so richtige Schritte, große Schritte zu Veränderungen erfolgt sind. Das hat zum einen zutun mit der, ja, ich nenne es mal so, das ist auch ein Kernthema für jeden Berufsbildner, die Neuordnung der Metall- und Elektroberufe. In den 80er Jahren, wo es nicht nur darum ging die Automatisierung / die sich da schon in den Werkstätten bemerkbar gemacht hat. Mit computerunterstützter Metallverarbeitung, mit computerunterstütztem Schweißen und ähnlichem. Dass zu der Digitalisierung hinzu kam eine Veränderung auch der Pädagogik. Auch der Ziele, die man mit Berufsausbildung verfolgte. Das heißt, hier wurde es nochmal sehr deutlich, dass Berufsausbildung nicht nur heißt, die Fachqualifikation zu entwickeln. Sondern dass wir, und hier kommt das Stichwort Bildung auch sehr stark zum Tragen, dass es darauf ankommt mit der Berufsausbildung dem Menschen eine Befähigung zu geben, auch selbstständig handeln zu können. Das heißt, die Selbstständigkeit auch am Arbeitsplatz zu unterstützen. Die dann auch abgeleitet ein Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung sein soll: Der handelnde Mensch in der Gesellschaft. Der selbstverantwortende Mensch. Das heißt also, weg von einer Engführung, einer sehr stark, ja, vordefinierten Arbeitswelt. Hin zu einer Arbeitswelt, die sehr stark auch vom Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz selbstgestaltet wird. Das ist in den 80er Jahren sehr massiv vorangetrieben worden, wie gesagt, mit der Neuordnung dieser Metall- und Elektroberufe. Und das führte natürlich dann auch dazu, dass man auch die Curricula anders beschreiben musste. Eben auf das selbsttätige Handeln der Menschen. Und das bedeutete natürlich auch, dass der Ausbilder sich weniger als ein Vormacher versteht, ne? Und der Auszubildende macht eben nach. Und vormachen, nachmachen so einen Rhythmus darstellt. Sondern dass der Ausbilder eher ein Moderator wird. Ein Verbinder wird zwischen dem, was an Arbeits- und Ausbildungsplätzen erforderlich ist und wie man dem jungen Menschen helfen kann einen Zugang zu dieser Arbeit zu finden. Und das vor allen Dingen in der Art und Weise, dass der Auszubildende versucht selbsttätig an die Lösung des Problems zu kommen. Und das war schon ein Riesenschritt. Und das hat sich dann auch weiterentwickelt, diese Handlungsorientierung, in das, was wir heute kennen. Das kam dann später in den 90er Jahren, die sogenannte Kompetenzorientierung. Und die hatte dann nochmal so einen, ich sage mal, so eine Spitze, die ganz interessant ist. Mit dem sogenannten Prinzip der Outcome-Orientierung. Und Outcome-Orientierung heißt, es kommt nicht mehr darauf an welchen Weg du gegangen bist. Sondern es kommt darauf an was du bist, was du kannst. Also eine Kompetenzorientierung in der beruflichen Bildung, die dann natürlich auch zu einer höheren Flexibilität, auch im Denken, anregt. Dass es nicht immer nur monokausale Zugänge zu bestimmten Zielen gibt, sondern dass man bestimmte Kompetenzprofile auf unterschiedlichen Wegen entwickelt und entwickeln kann. Und das ist für uns in der beruflichen Bildung auch insofern interessant, als das wir, wenn wir über Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung reden, dass es nicht darauf ankommt, dass du nachweist, dass du, ich sage mal, eine bestimmte Hochschule besucht hast. Und eine bestimmte Hochschulzugangsberechtigung erhalten konntest. Sondern dass es darauf ankommt, dass du eine bestimmte Kompetenz zeigst. Und das ist das entscheidende. Also nicht der Bachelor ist entscheidend und auch nicht der Meister ist entscheidend, sondern gleichwertig sind die beiden deshalb, weil sie im deutschen Qualifikationsrahmen und im europäischen Qualifikationsrahmen im Kompetenzprofil als gleichwertig anerkannt sind. #00:19:55-0#

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Friedrich Hubert Esser: Wir sehen am Bildungsverhalten der jungen Leute, was sehr stark auch Elternhaus-determiniert ist, dass wir doch einen eindeutigen Trend erkennen hin zum Abitur oder zur Hochschulreife und zum Studium. Und die Anerkennung von Ausbildung und vom Beruf, den man über Ausbildung bewirbt, immer mehr rückläufig ist. Gerade auch was die Handwerksberufe angeht. Wobei wir natürlich aufpassen müssen, dass wir nicht das eine gegen das andere setzen. Und in Konflikt setzen. Das dürfen wir nicht machen. Aber wo ich etwas zu bedenken gebe ist, dass natürlich wir auch sehen, das zeigen auch Studien, dass viele junge Menschen, die gerne eine Ausbildung machen würden und auch Kompetenzen dafür mitbringen, und weniger diejenigen sind, die nach der Schulbank direkt die nächste Lernbank wieder drücken, dass die auch ein Stück weit heute, weil es so auch so eine Art Erwartungshaltung geworden ist, auch ein Stück weit ins Abitur getrieben werden. Ins Studium getrieben werden. Wir natürlich auch beklagen, dass es nicht unbeträchtliche Abbrecherquoten immer noch gibt. Dass ein Stück weit auch das Vertrauen nicht mehr da ist. Und die Anerkennung nicht mehr da ist für Ausbildung. Und für einen Weg in die Weiterbildung hinein, die dann auch zu entsprechenden Führungspositionen natürlich gehen kann. Das bringt uns, mit Blick auch auf die demographische Entwicklung, zunehmend in Schwierigkeiten. Was dann auch bedeutet, dass zum einen wir fürchten müssen, dass natürlich, wenn die eigentlichen Fachkräfte nicht mehr da sind oder immer weniger werden, aber die Arbeit ist noch da und die Probleme sind noch da, die zu lösen sind, dass es andere Quellen gibt, die versuchen hier diese Lücke zu füllen. Das müssen ja auch nicht immer dann die qualifiziertesten sein. Das heißt, dass wir hier Gefahr laufen in bestimmten Bereichen auch unterversorgt zu sein, schlecht versorgt zu sein. Was dann auch dazu führt, dass bestimmte Dinge, die wir zum Lebensgenuss brauchen, dass die einfach nicht mehr da sind. Dass man sie nicht abrufen kann. Oder auch, und hier denke ich mal beispielsweise an ein Handwerk, den wir heute „Anlagentechniker Heizung, Sanitär, Klima“ nennen, dass wir aufgrund der Knappheit dieser Expertise Handwerkerstunden demnächst bezahlen müssen, die exorbitant sind. Weil wir keine Leute mehr haben. Das ist schon ein Szenario, was sehr realistisch ist in den nächsten zehn, 15 Jahren. Wenn wir diesen Trend nicht insoweit ein Stück weit korrigieren, dass wir wieder mehr junge Leute finden, die beispielsweise einen solchen Beruf, bleiben wir mal bei diesem Beispiel „Anlagenmechaniker Sanitär, Heizung, Klima“, lernen. Denn was macht gerade auch diesen Beruf aus? Zwei Dinge kommen mir hier vor allem in den Blick. Das eine ist: Es ist ein Beruf, der sehr stark auch dem Digitalisierungstrend folgt. Das heißt also, dass hier auch immer weniger geschraubt wird, gelötet, geschweißt wird. Und immer mehr mit hochtechnischen Systemen man hier zu tun hat. Wenn Sie heute in einen Neubau beispielsweise gehen, in einen Keller, dann werden Sie, ich sage mal, Heizungsanlagen sehen, die ganz smart sind, die ganz überschaubar sind. Das ist Elektronik pur. Und wenn Sie das mal vergleichen mit alten Ölheizungskellern von Altbauten, das ist was ganz anderes. Also das heißt, auf der einen Seite dieser Digitalisierungstrend, den man in diesem auch Berufsbild erkennt. Und zum anderen, was ich auch hochspannend finde, ist die Anbindung an die großen Ziele, die wir jetzt auch wieder im Koalitionsvertrag wiederfinden. Wie Energiewende, wie Klimawandel. Also genau das „Smart Home“ bauen, das „Smart Home“ warten, diese Anlagen reparieren zu können. Also das was auf Umweltschutz abstellt, auf Nachhaltigkeit abstellt. Das ist alles in diesem Beruf drin. Und wir brauchen hier vor allen Dingen auch junge Leute, die auch Spaß haben an Mathematik, an Physik, an Chemie. Also an Naturwissenschaften, an Informationstechnik. Weil dieser Beruf eben so diese Vielfalt mittlerweile einfängt. Aber wenn Sie mal heute Eltern befragen oder junge Leute befragen, die haben teilweise noch Klischees im Kopf, was diesen Beruf mal vor Jahren begleitete, die heute überhaupt nicht mehr da sind, ne? Das macht uns das Problem, ne? Dass auch viele Menschen gar nicht wissen: Was steckt eigentlich in diesen Berufen an Anspruch, an Können, an Bildung, auch an Moderne? Und deshalb auch an solche Berufe gar nicht denken. Die Problematik, die natürlich auch dahintersteckt, ist, dass der Mangel an dieser gesellschaftlichen Anerkennung, den wir hier feststellen, hat natürlich etwas damit zu tun, dass wir sehen, dass die Wissenswirtschaft und -gesellschaft, so wie wir sie soziologisch beschreiben können, sehr stark mit einer Tendenz der Verkopfung von Bildung zu tun hat. Wenn ich mich mal so ausdrücken darf. Das heißt also, derjenige, der theoretisch gut ist, wird anerkannt. Und derjenige und diejenigen, die eine eher, wie wir das so schön sagen, praktischere Leistung und Kompetenz mitbringt, das ist nicht mehr so schick in unseren jetzigen Zeiten. das ist ein Punkt, den man natürlich auch wieder geraderücken muss. Sie haben eben den Schneiderberuf genannt. Ich brauche gar nicht bei Dior anzufangen, wo man mal sehen kann/ Das finde ich auch immer total spannend. Ich kann mich erinnern an eine sehr schöne Dokumentation über Karl Lagerfeld, den ja alle kennen, und diese ganze Welt dieser Textilmoderne aus Paris. Und im Kern sind es ganz hochqualifizierte Schneiderinnen und Schneider, die ihr Handwerk in Perfektion können. Die beispielsweise die Kleider, die dann jedes Jahr als neue Mode veröffentlicht werden, in einer Schneiderei herstellen. Also der Blick für so etwas, also hier ist es schon bald Handwerkskunst, aber der Blick für diese hohe Kompetenz, der geht ein Stück weit verloren. Also das was, ja, wie Hannah Ahrends sagt, den Homo Faber ausmacht. Den Gestaltenden, das Schöpferische an handwerklicher Arbeit gerät völlig aus dem Blick. Hier ist es wichtig und das hat natürlich auch etwas mit Schule zu tun, dass man in den Schulen eben nicht nur die Basics des Umgangs mit dem Computer lernt. Sondern dass man auch in den Schulen, in der allgemeinen Bildung erkennt, was Kreativität, menschliche Schaffenskraft, die eine Verbindung von Kopf, Herz und Hand ist, dass das auch Bildung ist. Und das ist, glaube ich, ganz wichtig mit Blick auf die Akzeptanz bestimmter Berufe. Wo genau das eingefordert ist, was Pestalozzi seiner Zeit mit Kopf, Herz und Hand meinte. #00:27:17-0#

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Friedrich Hubert Esser: Wir brauchen gerade in der Zeit, wo die Digitalisierung fortschreitet, wo auch die Inhalte auch von Berufsbildung zunehmend abstrakter werden, brauchen wir gerade jetzt und in der Zukunft starke Berufsschulen, die als dualer Partner das anreichern und im Grunde genommen rundmachen, was in den Betrieben qualifiziert wird. Es ist richtig, dass wir zunehmend Probleme haben mit einer ausreichenden Anzahl von Lehrenden in den berufsbildenden Schulen. Und das hat natürlich schlicht und ergreifend damit zu tun, dass anscheinend auch dieser Beruf, diese Aufgabe, nicht mehr so attraktiv ist wie beispielsweise das Arbeiten in einem Betrieb oder in einem größeren Unternehmen in der Wirtschaft. Da spielen viele Dinge eine Rolle. Da spielen die Verdienstmöglichkeiten eine Rolle. Das ist natürlich auch eine Frage inwieweit man bereit ist sich auf Basis einer ökonomischen Ausbildung/ Ja, die Berufsschullehrenden werden ja im Grunde genommen im Rahmen eines Wirtschaftsfaches oder eines Ingenieurfaches ausgebildet. Dass man dann doch weniger bereit ist das in eine pädagogische Konzeption zu bringen. Und in pädagogischen Kontexten zu leben auch in einem Beruf. Das bringt uns natürlich in der beruflichen Bildung zunehmend unter Druck. Vielleicht, um es noch ein bisschen weiter zu denken, warum das so schwierig geworden ist: Weiterführend beklagen wir ja in der beruflichen Bildung generell ja auch einen Attraktivitätsverlust. Der hat für mich massiv auch begonnen, das sage ich jetzt mal so, auch mit Dingen, die die OECD seinerzeit falschgemacht hat. Indem sie beispielsweise, das ist schon einige Jahre her, sich sehr stark für die akademische Ausbildung ausgesprochen hat. Also eine Beziehung hergestellt zwischen der Zukunft, auch des Wirtschaftsstandortes Europa. In Abhängigkeiten davon, dass die Länder die Akademikerquoten hochtreiben müssen. Weil für eine Wissenswirtschaft und -gesellschaft brauchen wir viele Akademiker. So damals die OECD. Und die damals überhaupt nicht auf dem Schirm hatten, dass wir in der beruflichen Bildung in Deutschland, wie auch in der Schweiz und in Österreich, natürlich auch auf dem Niveau der Sekundarstufe zwei, also alles das, was in die Oberstufe reingeht und darüber hinaus, im sogenannten tertiären Bereich natürlich auch Fortbildungen angelegt haben. Also das was der deutsche Qualifikationsrahmen jetzt sehr klar ausweist, beispielweise dass das Meisterprofil, die Meisterqualifikation, gleichwertig mit dem universitären Bachelorprofil ist, das hatten die OECD-Leute damals überhaupt nicht auf dem Schirm. Und das hat zu einer Welle geführt/ Diese Idee, das Heil im Akademikertum zu sehen, hat zu einer Welle geführt beziehungsweise etwas ins Rollen gebracht, was heute noch rollt. Die OECD hat zwar zwischenzeitlich sich korrigiert und hat dann auch diesen tertiären Bereich der Berufsbildung herausgestellt und anerkannt. Aber da bedarf es auch noch einiger Kraftanstrengungen, um dieses Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen. Und deshalb sind für mich an der Stelle drei Sachen ganz, ganz wichtig, um diesen Trend zu korrigieren. Der erste Punkt ist, dass wir viel mehr tun müssen, um klarzumachen, dass die berufliche und die akademische Bildung gleichwertig sind. Das heißt also, dass wir das Defizit, was wir gerade bei vielen Handwerksberufen merken, spüren, beobachten, die mangelnde Anerkennung mit Blick auf selber in diesem Beruf mal tätig sein zu mögen, dass wir das ein Stück weit aufholen wieder. Denn, das ist beim Handwerk interessant, wenn es um Anerkennung geht, ist das zweigeteilt. Der Handwerker an sich ist sehr anerkannt in der Gesellschaft, ne? Also jeder ist froh, wenn er einen guten Dachdecker hat, wenn er einen guten Optiker hat, einen guten Schneider, eine Schneiderin hat. Da sind wir alle froh. Aber bei der Frage: „Willst du es denn auch selber machen?“ Da wird es dann ganz anders. Da geht es in die andere Richtung. Und das müssen wir geraderücken. Und deshalb bin ich auch einer derjenigen, die die Politik versucht anzuregen, zu überzeugen, dass wir den deutschen Qualifikationsrahmen endlich verbindlich machen müssen. Das heißt, dass er einen Rechtsstatus bekommt. Sodass wir auch, ich sage mal, eine rechtliche Einfassung dessen haben, was wir Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung nennen. Wenn der Staat hier einen Impuls setzt, ich mache es immer an diesem Beispiel Meister und Bachelor deutlich, dass das gleichwertige Abschlüsse sind, gleichwertige Kompetenzen sind. Also bis wirklich in den Kern der Gesellschaft hinein zu kommunizieren: Das ist durchaus etwas, was gleich anzuerkennen ist. Als gleichwertig anzuerkennen ist. Und wo man auch Verdienstmöglichkeiten hat. Das können wir auch über Studien belegen. Dass diejenigen, die eine Ausbildung absolviert und Fortbildungen entsprechend angelegt haben zur Meisterprüfung oder darüber hinaus, dass die natürlich im Lebenseinkommen durchaus im Durchschnitt mit denen mithalten können, die ein Studium absolviert haben. Und das muss wieder deutlich werden und deshalb brauchen wir hier den politischen Impuls. Als zweites brauchen wir eine hervorragend aufgestellte Aus- und Weiterbildung. Das ist natürlich auch wichtig. Dass man sich verlassen kann, wenn man mit einem Ausbildungsbetrieb einen Vertrag abschließt. Dass ich in einem Betrieb qualifiziert werde, der mir wirklich eine nachhaltige Qualifikation auch ermöglicht, die am Arbeitsmarkt verwertbar ist. Und auch so ermöglicht, dass sie nach modernen und zukunftsorientierten Gesichtspunkten erfolgt. Das ist wichtig. Und das ist ja gerade die Aufgabe der Wirtschaftsorganisationen, der Kammern, der Verbände, der Arbeitgeberverbände, der Gewerkschaften. Die alle sind ja mit ihren Organisationen auch um die Ausbildung herum. Und tragen dafür Sorge, dass ein hoher Qualitätsstandard gewährleistet ist. Das ist ganz wichtig. Dass wir das also hinbekommen, dass wir gute Ausbildungsbetriebe haben, gute berufsbildende Schulen. Wir haben eben über den Lehrermangel gesprochen. Dass wir ausreichende Lehrende haben, die da sind und was von ihrem Fach verstehen. Dass die Schulen auch gut ausgestattet sind, Stichwort: Digitalpakt, Digitalisierung. Dass der Anschluss am schnellen Internet da ist. Dass die Verfügbarkeit von Medien da ist. Wir reden heute auch über die Möglichkeit von Virtual Reality, Augmented Reality. Konzepte auch in Schulen, in Betrieben umzusetzen. Das ist wichtig, dass wir da vorankommen. Und last but not least: Die Berufsorientierung an den Schulen, gerade in den Gymnasien. Dass wir es hier hinbekommen, dass die Studienorientierung und die Berufsorientierung auf gleicher Augenhöhe angelegt ist in den Schulen. Also dass man wirklich den jungen Menschen die Alternativen auch aufzeigt, die da sind. Und dass wir gerade in Gymnasien von dem Selbstverständnis wegkommen müssen, nur für das Studium vorzubereiten. Das Gymnasium hat für mich einen breiteren Ansatz. Der natürlich mit Bildung und nur mit Bildung zu tun hat. Aber Bildung findet eben nicht nur in den Hochschulen statt, sondern auch in der beruflichen Bildung. Und das muss auch an den Gymnasien akzeptiert, anerkannt und dann auch in den Unterrichtskonzepten umgesetzt werden. #00:35:16-0#

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