Durchfechter

Durchfechter

Transkript

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Sandra Kostner: Wenn ich merke, irgendetwas stimmt aus meiner Sicht nicht, irgendetwas ist unlogisch, etwas steht da und ist zu sehr unwidersprochen, weil es gibt immer verschiedene Betrachtungsweisen, es gibt nie das eine Richtige. In dem Moment stelle ich mir immer die Frage: Wie könnte man es denn auch anders sehen? Und in dem Moment wird es spannend, das ist die intellektuelle Herausforderung und da macht es mir dann auch Spaß in die Diskussion mit anderen zu gehen. Die Grundvoraussetzung ist aber, dass es den anderen auch Spaß macht. Und das ist leider heutzutage oft nicht mehr so, weil viele sich in ethologischen Positionen einigeln, und diese Lust am Austausch von Argumenten nicht mehr haben. Und das Schlimme dabei ist, dass es eigentlich dadurch auch zu einer Schwächung des intellektuellen Austausches kommt, weil man kann ja die eigenen Argumente nur im Austausch schärfen. Man sieht ja die Schwachstellen nur, wenn man sie austauscht, weil sonst kriegt man ganz schnell blinde Flecken, wenn man in so Selbstbestätigungsblasen drin ist. Und letztendlich ist es ein bisschen so wie beim Schwimmer. Ja, der Schwimmer, der gegen den Strom schwimmt, der braucht die besseren Muskeln. Und genauso ist es beim Denker. Derjenige, der gegen den Strom schwimmt, der braucht die besseren Argumente. Und da habe ich gemerkt, im Laufe der Zeit, es macht mir auch Spaß, die besseren Argumente zu entwickeln. #00:01:04-0#

(Musik) #00:01:42-0#

Corina Niebuhr: Hallo und herzlich willkommen beim Durchfechter. Sandra Kostner tut das, wovor andere Lehrkräfte zurückschrecken. Sie setzt sich lautstark für Wissenschaftsfreiheit an Universitäten und Hochschulen ein. Auch wenn sie dafür viel Kritik einstecken muss, bis hin zu Vorwürfen sie sei rechts. Kostner ist Historikerin und lehr Migrations- und Integrationspolitik an der pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd. Vorher promovierte sie an der University of Sidney. Dort und auch bei Aufenthalten in Kanada bemerkte sie vor einigen Jahren, wie bestimmte wissenschaftliche Diskurse immer enger wurden. Auslöser waren nach ihrer Beobachtung Identitätsfragen oder der Anspruch, dass die Gefühle einzelner Studierenden-Gruppen nicht verletzt werden dürfen. Statt Themen so kontrovers wie möglich in den Hörsälen und Seminaren zu diskutieren, um dort eine erkenntnisoffene Wissenschaftskultur einzuüben, müssen Professorinnen und Professoren in den USA und in Kanada im Zuge der Safe-Spaces-Bewegung aufpassen, dass sie in ihrer Lehre keinen Satz sagen, aufschreiben, oder als Literaturausschnitt auswählen, der bestimmte Gruppen verletzen könnte. Identitätsfragen und Gefühle, das sind für Sandra Kostner vor allem in dieser Kombination weitestgehend Fremdwährungen in der Wissenschaft. Und wenn diese Fremdwährungen die Rationalität und Offenheit von wissenschaftlichen Diskursen einschränken, schwingt aus ihrer Sicht das Pendel zu weit in die falsche Richtung. Sie möchte nicht, dass sich ähnliche Verhaltensweisen an deutschen Universitäten und Hochschulen etablieren. Falls einzelne Professorinnen und Professoren hierzulande aus den gerade beschriebenen Gründen unter Druck geraten, sollen sie Rückendeckung bekommen. Hierfür gründete Sandra Kostner im März 2021 gemeinsam mit siebzig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem deutschsprachigen Raum das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit. Heute, ein gutes halbes Jahr später, ist es auf sechshundert Personen angewachsen. Sandra Kostner ist keineswegs die verbissene Person, für die sie manche halten. Für sie sind kontroverse Diskussionen ein Gewinn. Sie tauscht sich gerne mit Andersdenkenden aus, umso mehr, wenn dieses Argumentieren der Gegenseite ebenso Spaß macht. Dass sie ganz selbstverständlich ihren eigenen Standpunkt auch gegen die Norm beziehen darf, das lernte Kostner bereits in ihrer Kindheit. Niemand in ihrer Familie habe versucht, diese in ihr angelegte Leidenschaft zu brechen, erzählt sie. Es sei wohl das Glück gewesen, in den Siebzigerjahren aufgewachsen zu sein. Im Durchfechter erzählt die Historikerin, was sie antreibt, wie sie mit Anfeindungen umgeht, warum das kontroverse Argumentieren unbedingt in die Hochschullehre gehört und wie sich die heutigen Studierendenproteste von denen in den Achtundsechzigern unterscheidet. Mein Name ist Corina Niebuhr und ich wünsche euch nun viel Spaß mit Sandra Kostner. #00:04:53#

(Musik) #00:04:59-0#

Sandra Kostner: Also ich bin vor etwas über 18 Jahren nach dem Studium nach Australien gegangen und habe dort erst in einem Museumsprogramm gearbeitet und habe/ über einen, der auch dort gearbeitet hat, wurde ich zu einem fünfzigsten Geburtstag von jemandem mitgenommen und der war Lehrer, auch Historiker, aber auch Lehrer. Und deshalb waren da sehr viele Lehrer dann auch, vor allem Lehrerinnen, bei dieser Geburtstagsfeier. Und die haben sich natürlich, wie Lehrer das normalerweise machen, über Schule und Schüler unterhalten. Und das Gespräch kam dort, das war in (Canes? #00:05:26-6# ), wo es relativ Aborigines auch gibt, dann auch auf die Beschulung von Aborigines, weil einige sehr intensive Erfahrungen damit gemacht hatten, beziehungsweise auch in Schulen waren, wo überwiegend Aborigines waren. Und dann sagte eben eine Lehrerin, dass sie es schon seit einiger Zeit aufgegeben hätte, Aborigine-Kindern Mathe beizubringen, weil sie gemerkt hätte, das geht eben gegen deren Veranlagung, die tun sich unglaublich schwer mit Mathe. Und deshalb, weil die 40.000 Jahre alleine auf diesem Kontinent waren und in der Zeit überhaupt nicht mit Mathe / Das ist eben eine westliche Kulturtechnik, das kann man natürlich in Frage stellen, aber gar nicht in Berührung gekommen sind, und deshalb eben auch keine Begabung dafür hätten, aber hätten eine unglaubliche Begabung dann für Kunst entwickelt in dieser Zeit und deshalb würde sie inzwischen die Mathestunden für Kunstunterricht nutzen. Und ich fand es einfach nur skurril, weil mein erster Gedanke war, und das habe ich dann auch geäußert, also es hat nämlich sonst erst mal keiner etwas gesagt, und ich war da eben auch frisch und fröhlich frei von der Leber weg und sagte dann auch zu ihr, also dass ich das ja schon sehr merkwürdig finde und es nicht nachvollziehen kann. Denn was passiert denn eigentlich mit den Kindern, wenn sie eben kein Mathe lernen, welche Chancen haben sie denn später in der Gesellschaft? Und sie hat es dann wiederum so begründet, dass sie das als neue Form des Kolonialismus, also den sie ja selber dann begehen würde, betrachten würde, wenn sie den Kindern Mathematik als westliche Kulturtechnik aufzwingen würde. Und hat das dann also letztendlich identitätspolitisch begründet, was ich damals in diesen Worten natürlich nicht fassen konnte. Da habe ich dann später darüber nachgedacht. Und was aber mir aufgefallen ist, dass andere Lehrkräfte eben sich ähnlich geäußert hatten und es auch noch gut fanden, und viele aber auch nichts gesagt haben. Und ich war eigentlich die Einzige, die da wirklich widersprochen hatte. Und habe dann hinterher, als der Freund mich dann nach Hause gefahren hatte, dann auch zu ihm gesagt, also ich fand es ja schon sehr merkwürdig und habe auch zu ihm dann gesagt, „dass ihr auch alle nichts gesagt habt“. Und hat er gesagt: „Du, ich finde es auch merkwürdig, der Gastgeber auch, und wir hatten da schon so viele Diskussion im Lauf der Jahre, und da wirst du immer gelabelt, als Rassist.“ Also weniger rechts dort, sondern als Rassist, dass er einfach keinen Bock mehr auf solche Diskussionen hat. Und das hat mich dann schon zum Nachdenken gebracht. Zum einen, wie man mit diesem Selbstbewusstsein diese Haltung vertreten kann, genau zu wissen, was gut für diese Kinder ist. Die Folgen, die das später für das Leben der Kinder haben wird. Und vor allem auch die aus meiner Sicht sehr krude Argumentation, wie man das vor sich selbst natürlich rechtfertigt, dass man so handelt. Und dann eben, dass so wenige etwas dagegen sagen, auch die Begründung, warum man nichts sagt. Und das habe ich so im Hinterkopf behalten und habe dann im Laufe der Jahre immer wieder so Dinge beobachtet, wo sehr schnell etwas als rassistisch gelabelt wurde, wenn jemand irgendetwas Negatives gesagt hat, in Australien insbesondere über Aborigines. Ob das jetzt sachlich in irgendeiner Form gerechtfertigt war oder nicht, spielte eigentlich gar keine Rolle. Sondern man durfte einfach nichts sagen. Also dieses Gefühl, es ist sehr schwierig, sich da offen zu äußern. #00:08:32#

Sandra Kostner: „Ja, und ich erkenne an, dass wir auf dem Land des und des Stammes ist.“ Das mag eine schöne Geste sein, irgendwann ist es einfach nur ritualisiert und inhaltsleer dann auch wiederum. Aber es verändert ja nicht wirklich viel. Aber wenn das einer nicht sagt, dann ist er gleich in Problemen. Oder dass man denkt, immer die Diskussion auch in Australien zum Nationalfeiertag, dem Tag, als die erste Flotte angekommen ist. Ja klar, aus Sicht der Aborigines war das natürlich der Beginn von was nicht so Gutem, das ist richtig. Aber dann immer die Diskussion darüber, weil das für die Aborigines kein guter Tag war, darf so etwas kein Nationalfeiertag sein. Man kann darüber diskutieren, natürlich, da gibt es unterschiedliche Argumente, ich sehe auch die Argumente von beiden Seiten. Oder, es sind ja mehr als zwei Seiten, es ist differenzierter. Aber es geht eben sofort, weil das die Aborigines, und welche Aborigines sind es, es sind ja nicht alle, sondern einfach ein Teil, in ihren Gefühlen verletzen könnte, wenn man allein darüber debattiert, dass es für sie ein schrecklicher Tag ist, und dass man deshalb einen anderen Tag als Nationalfeiertag braucht, dann habe ich ja schon wieder die Diskussion beendet. Und das ist das Problem, dass man sofort eine moralische Position ergreift, die nicht angreifbar ist. Dass man sagt: „Meine Aussagen sind nicht angreifbar, weil ich moralisch auf der richtigen Seite, nämlich der Seite des Opfers, stehe.“ Wenn ich natürlich mich daran orientiere, dass mit allem, was ich sage, ich potentiell die Gefühle von jemandem verletzen könnte, bin ich ja nicht mehr sprechfähig. Ich bin jetzt nicht jemand, die wie die Axt durch den Wald läuft und darauf aus ist, die Gefühle von Menschen zu verletzen. Ich sage ja auch, mir ist das wichtig, wie man miteinander spricht, dass man das wertschätzen tut. Und das sehe ich eben auch als Gefühle nicht verletzen, jemanden wirklich anzuerkennen, wertzuschätzen. Wenn aber jemand jetzt ein sachlich fundiertes Argument als verletzend empfindet und sagt, das ist ein Angriff auf meine Person, dann heißt das ja, dass die Person die Macht darüber bekommt, über was in einer Gesellschaft gesprochen werden kann. Und Personen sind ja auch orientiert an Macht und streben nach Macht. Das heißt, andere sehen das, und Scheibchen für Scheibchen werden immer mehr Themen dem Diskurs entzogen, und irgendwann gibt es einfach nur noch bestimmte Positionen, die eingebracht werden können, andere nicht, wenn man das akzeptiert. Das heißt, man darf sich auf diesen Weg gar nicht begeben. Ich finde es wichtig, dass man eben wertschätzend mit jemandem umgeht, nicht versucht, vorsätzlich Gefühle zu verletzen oder jemanden als Person anzugreifen. Und da lege ich auch sehr viel Wert darauf, Menschen nicht als Person anzugreifen. Aber ich setze mich sehr wohl kritisch mit ihren Argumenten auseinander und das müssen sie sich dann auch anhören. Und wenn das dann Gefühle verletzt, dann ist das so. #00:11:47-5#

(Musik) #00:11:53-8#

Sandra Kostner: Warum Wissenschaftsfreiheit für mich wichtiger wurde, ist, dass ich seit ungefähr 15 Jahren vor allem in der Migrationsforschung tätig bin und die Migrationsforschung neben den Gender Studies, was identitätspolitische Agenden und entsprechende intellektuelle Normierungen betrifft, so der Hot Spot des Ganzen ist. Und ich das natürlich relativ früh dann auch mitbekommen habe, dass sehr starke Verengungsdiskurse da sind, die vor allem im angelsächsischen Raum ihren Ausgangspunkt haben, und gesehen habe, dass wir im Grunde alles aus dem angelsächsischen Raum übernehmen. Das kommt dann meistens mit etwas Verspätung hier an, es kommt auch etwas ausgedünnt an, aber es kommt an. Und das war vor allem im Jahr 2017, da war ich im März in Sydney, da habe ich ja auch promoviert und auch gelehrt zuvor. Und habe da auch mitbekommen, dass also immer mehr Kurse an meiner alten Universität, der University of Sydney, im Fach Geschichte sich nur noch um Gender und Race gedreht haben. Dass es sehr wichtig auf einmal war, dass die Quote der Literatur, die gelesen wird in Seminaren, von vierzig Prozent, die von Frauen geschrieben werden muss, erfüllt wird. Dass es also gar nicht mehr so stark um Inhalte ging, sondern tatsächlich, dass man bestimmte Quotenforderungen erfüllt. Und dann auch Berichte gelesen, dass immer mehr Männer sich gegen ein geisteswissenschaftliches Studium entscheiden, weil sie sich im Grund nur anhören müssen die ganze Zeit, Gender und Race, vor allem privilegierte, weiße Männer, dass sie das Problem des Ganzen sind. Ich habe das auch 2017 dann noch einmal, als ich im Sommer in den USA und Kanada war, sehr stark gesehen. Die Diskussion insbesondere um die Safe Spaces, also Universitäten als Safe Space, an der bestimmte identitätspolitische Opferminderheiten, also Gruppen, die früher mal benachteiligt worden sind, sei es Frauen, Afroamerikaner, ethnische oder religiöse Minderheiten, die dürfen dann nicht in irgendeiner Form intellektuell oder gefühlsmäßig herausgefordert werden. Das heißt also, bestimmte Texte müssen mit Trigger-Warnungen versehen werden, dass jemand vorher weiß, oh, da könnte jetzt was stehen, was zum Beispiel nicht dem genderpolitisch korrektem Frauenbild des Jahres 2017 entspricht, oder Texte sollten gar nicht mehr gelesen werden. Also es geht ja teilweise schon in die Klassiker hinein, die man dann nicht mehr lesen soll. Begriffe, die nicht zu verwenden sind. In Amerika, das berühmt-berüchtigte N-Wort, ganz vorne dran, egal in welchen Kontext es dann eben auch gesagt wird. Ob jemand das dann auch in einem historischen Text, wo das natürlich dann verwendet wird, dann Studierenden zum Lesen gibt. Aber auch ganz stark die Transgender-Debatte. Bei uns geht es ja mehr um die gendergerechte Sprache, hier ging es dann eben um die Ansprache, dass man selbst bestimmen kann, mit welchem Pronomen man angesprochen werden möchte. Und selbst wenn jemand jetzt eben äußerlich als Frau normalerweise klar zugeordnet würde, muss der Dozent dann sehen, dass sich jemand als Mann identifiziert und darf nicht das falsche Pronomen verwenden. Und das ist einfach sehr viel. Das hat ja nichts mehr wirklich mit Inhalten zu tun, ja? Das geht dann sehr stark um soziale Beziehung, und vor allem um soziale Machtfragen, gesellschaftstransformierende Agenden. Dass das sehr weit auch weg geht, von dem was einfach Wissenschaft ist, das ergebnisoffene Streben nach Erkenntnis. Und ja, das waren also insbesondere die Debatten darum, was an den Universitäten alles nicht mehr gesagt werden darf, was Studierenden inhaltlich nicht mehr zugemutet werden darf, und vor allem auch, wer sich überhaupt legitimerweise zu Themen äußern darf. Also dass dann, zu bestimmten Themen dürfen nur Frauen Position beziehen, oder nur Afroamerikaner haben eine legitime Stimme. Die anderen haben auch eine legitime Stimme, solange sie das sagen, was sie sagen sollen. Sie dürfen aber nichts Abweichendes sagen oder irgendetwas in Frage stellen, dann werden sie moralisch diskreditiert. Und diese Prozesse sehen wir ja auch in Deutschland. Und in den USA ging es aber deutlich weiter. Was für mich noch einmal auch ein ganz wichtiger Text war, war ein Dozent, der hat den anonym geschrieben, „Warum ich von meinen linken Studierenden Angst habe“. Und sagte, ich war selber lange eigentlich ein Linker, oder habe mich immer als Linker identifiziert. Und auf einmal sind das die Studierenden, wo ich Angst habe, dass sie mich im Dekanat anschwärzen, dass ich Probleme bekomme, dass meine Stelle verlängert wird. Und dass ich sogar gekündigt werde, wenn ich den falschen Buchauszug lese, den falschen Filmausschnitt zeige. Also immer mit der Schere im Kopf zu arbeiten, ist da irgendwas drin, von dem sich herausgefordert fühlen könnte, oder was jemand aus machtpolitischem Interesse nutzen könnte, um mir zu schaden. Und in dem gesellschaftlichen Klima – wir haben es ja noch nicht ganz so wie in den USA oder auch Großbritannien – ist es dann für einzelne Lehrenden einfach unglaublich schwierig, unter Anführungszeichen, ihre Unschuld zu beweisen. Dass sie einfach argumentativ den Studierenden etwas zum Denken geben wollte. Und das geht ja dann so weit, dass da auch institutionelle Bestrafungsmechanismen greifen, also dass jemand dann gekündigt wird, oder degradiert wird. Das aggregiert sich dann so hoch. Also dann sehen natürlich die Dekanate, oh, was passiert da jetzt mit einem einzelnen Dozenten, wie der angeprangert wird. Dann überlegt sich natürlich das Dekanat, wenn wir uns jetzt auf die Seite der Wissenschaftsfreiheit, der Lehrfreiheit stellen, und damit auf die Seite auch des Dozenten, dann sind wir die nächsten am Pranger. Und die wissen genau / Es gibt ja so viele Beschwerdestellen dort inzwischen im System drinnen, ja? Die nächste Beschwerdestelle ist einfach nur eine Ebene höher. Und das heißt, früher oder später ist der Druck ja auch bei mir, und es geht ja dann bis zu den Hochschulleitungen, die dann wissen, wenn das in die Öffentlichkeit geht – und es wird dann sehr schnell in die Öffentlichkeit gespult – dann steht die ganze Universität am Pranger, und sie vorne dran natürlich. Und das will jeder vermeiden. Also jeder duckt sich letztendlich weg, um ja nicht selber in diesen Strudel zu geraten. Und dadurch können, das sind relativ kleine Gruppen an Personen, eine unglaubliche Macht über Institutionen gewinnen. #00:17:52-7#

(Musik) #00:17:59-1#

Sandra Kostner: Ich glaube, dass nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erst einmal so eine Phase der Entideologisierung war in den Neunzigerjahren. Das ging in die Zweitausender hinein, das war eine sehr entspannte Phase. Und es war eigentlich fast klar, wenn man darüber nachdenkt, dass irgendwann auch dieses Vakuum an Ideen, was dadurch natürlich entstanden ist, an Orientierungspunkten, Mensch suchen ja auch etwas, was sinnstiftend ist, was ihnen Orientierung gibt, was Wärme in der Gruppe vermittelt, dass das wieder gefüllt werden muss. Und früher war das auch Religion, aber Religion ist weggefallen. Also musste etwas quasi Ersatzreligiöses gefunden werden. Und gerade in Geistes-, Sozial-, und Kulturwissenschaften sind es ganz stark die identitätspolitischen Themen. Man arbeitet nicht mehr so stark über die Ratio, was ja in der Wissenschaft die absolute Grundlage ist, sondern über die Gefühlsebene. Und das ist natürlich für die Wissenschaft früher oder später die Bankrotterklärung, und damit fährt man gegen die Wand. Also damit macht man sich selbst obsolet, wenn man die Gefühle ins Zentrum stellt. Es ist natürlich der Mensch ein emotional gebundenes Wesen, und Ratio und Emotion spielen ja in gewisser Weise auch zusammen, das ist ja jetzt nicht komplett getrennt zu sehen. Aber dass man sich zu seinen eigenen Emotionen, die man vielleicht auch zu einem Thema hat, die Distanz verschaffen kann, um nüchtern und sachbezogen über etwas nachzudenken, das ist zentral, weil nur so kann man Wissenschaft betreiben. Wenn dann jeder einfach immer nur das, was er in dem Moment fühlt als das Zentrale setzt, dann wird die Welt natürlich extrem subjektiv, aber es wird auch sehr willkürlich, weil jeder kann ja einfach behaupten, das fühle ich in dem Moment, und der andere muss sich dem unterordnen. Es gibt ja überhaupt keine Basis mehr, die man teilt. Man braucht ja eine geteilte Basis, um sich über etwas austauschen zu können. Also in dem Fall, dass es tragfähige Argumente geben muss, die logisch sind, also die in sich geschlossen und konsistent sind. Und das ist natürlich bei Gefühlen nicht möglich. Und im Grunde war das ja erst einmal was Positives, auch in den Siebzigerjahren, dass man den Menschen auch mehr als Gefühlswesen gesehen hat. Aber inzwischen ist das zu stark in die andere Richtung gegangen, dass man den Menschen und seine Gefühle als wichtiger empfindet, auch in einem Funktionssystem wie Universität. Es ist ja immer die Frage, in funktional differenzierten Systemen hat man unterschiedliche Bereiche, in denen man Unterschiedliches ausleben kann. Und das will man eigentlich nicht mehr machen. Man möchte diese Trennung in differenzierte Systeme. Aber nur so funktioniert die Gesellschaft. Nicht mehr mittragen, man möchte alles eigentlich vermischen. Ja, genau so wie es jetzt gerade unter diesen ideologisch verhafteten Wissenschaftlern sehr viele gibt, die letztendlich im Gewande der Wissenschaft Politik betreiben möchten. Aber die Funktionslogik der Wissenschaft ist Erkenntnis und nicht Macht. Aber sie übertragen die Funktionslogik der Politik in die Wissenschaft. Und ähnlich ist es vielleicht jetzt auch so aus privaten, sozialen Beziehungen auch die Gefühlsebene auch in die Wissenschaft zu übertragen. Damit habe ich sozusagen zwei Fremdwährungen im Wissenschaftssystem, die aber die eigentliche Währung Erkenntnis schwächen. Und irgendwann kann das System dann auch seine Funktion nicht mehr erfüllen, wenn es zu stark von Fremdwährung belastet ist. #00:21:09-0#

(Musik) #00:21:14-1#

Sandra Kostner: Universitäten sind ja der Marktplatz der Ideen, wo man wirklich alles auch äußern, auch das Abwegigste äußern können sollte, um es zu diskutieren, um eben auch den Gehirnmuskel letztendlich zu trainieren. Aber das ist eben in bestimmten Fachrichtungen immer weniger möglich, weil sie eben stärker ideologisiert worden sind. Das heißt ja nicht durch die Bank, dass das so ist, hängt ja immer von einzelnen Personen dann auch ab. Ich selber habe das im Studium nicht erlebt, dass man etwas nicht sagen kann. Und dann hat man Gegenargumente bekommen, aber dass dann jemand nicht mehr mit einem reden würde oder dass man wirklich runtergeputzt worden wäre, vor allem als Person runtergeputzt worden wäre, habe ich selber auch nicht erlebt. Und ich glaube, dadurch konnte man sich selber auch intellektuell viel freier entfalten, als das heute in Teilen der Fall ist. Ich glaube tatsächlich, dass es anders war. Und da vertraue ich jetzt auch auf die vielen Aussagen von Personen, die ich kenne, die in den 60er, 70er und 80er Jahren studiert haben, ich selber in den 90er Jahren, dass es offener war. Natürlich gab es immer Machtasymmetrien und es gab immer einzelne Dozenten und Professoren, die aus Eitelkeit, ja – Eitelkeit ist ja eine humane Konstante – es überhaupt nicht ertragen haben, wenn jemand was gesagt hat, was ihrer Argumentation nicht entsprochen hat. Das gab es natürlich immer, aber jetzt kommt mehr hinzu, dass es auch ins ideologische Korsett passen soll. Und das wird ja nicht gesagt in der Regel „Du darfst das nicht sagen“, sondern das wird ja viel subtiler vermittelt, indem dann jemand, der so ein Argument vorträgt, entsprechend von der Klassengemeinschaft oder von der Studierendengemeinschaft schräg angeguckt wird, teilweise auch geschnitten wird. Also ich weiß von Studierenden, die dann sagen: „Meine Kommilitonen sprechen nicht mehr mit mir.“ Oder: „Ich werde einfach in Seminaren nicht mehr drangenommen, weil ich jetzt was gesagt habe, was unpopulär ist.“ Und das sind natürlich subtilere Mechanismen und es heißt dann für viele: „Naja, ich muss auf meinen Studienerfolg schauen. Und dann sage ich lieber nichts und ziehe mich zurück.“ Und das ist natürlich schade, weil man dann auch in der Klassengemeinschaft oder dann auch im Seminarraum ja gar nicht mehr lernt, wie man Argumente austauscht, wenn manche von Anfang an sich zurückziehen, weil sie das befürchten, dass das passieren wird. Das haben sie von anderen gehört zum Beispiel, oder sie haben es in einem anderen Kontext schon mal erlebt oder weil sie es dann tatsächlich auch in dem Kontext erleben und ihre entsprechenden Schlüsse daraus ziehen. Und es ist auch schwieriger in der Online-Lehre. Das haben jetzt auch drei Semester Online-Lehre gezeigt, dass, wenn man Studierende nur als kleine Kacheln am Bildschirm vor sich hat. Es gibt gerade bei heiklen Themen, finde ich, die Notwendigkeit, dass man die ganze Person wahrnimmt. Also die Gruppendynamik, was passiert eigentlich im Raum? Wie gehen einzelne damit um, dass jetzt heikle Punkte, oder aus ihrer Sicht heikle Punkte, intellektuell herausfordernde Punkte angesprochen werden? Ja? Da ist die Gestik, die Mimik, die Körperhaltung, verschiedene Dynamiken von Studierenden untereinander. Das hat man alles nicht. Und ich habe das selbst gemerkt und ich weiß das auch von Kolleginnen und Kollegen, dass sie gesagt haben, diese wirklich heiklen Punkte lasse ich in der Online-Lehre lieber weg, weil ich sie nicht wirklich auffangen kann. Also man fängt dann doch wieder an, etwas anders auch zu unterrichten. Und ich denke auch, es ist sehr wichtig, dass man dann kleine Gruppen hat, wo man eine vertrauensvolle Beziehung hat, dass auch jeder weiß, er kann sich hier offen äußern, da geht nachher nichts raus, vor allem nicht auf Social-Media-Plattformen. Teilweise kursieren ja auch Ängste, dass dann Studierende mitschneiden, was gesagt wird, einzelne Sätze oder Bausteine rausnehmen, da können sie ja alles Mögliche daraus machen und jemanden dann diskreditieren. Also da passieren natürlich dann auch Scheren im Kopf. Aber ich glaube, was bei den Hochschulen halt noch hinzukommt, ist, dass wir durch diese schon die Schulen, durch die starke Kompetenzorientierung, aber auch in den Hochschulen durch die neoliberalen Reformen der 2000er-Jahre, ein sehr verschultes Studium haben, wo es einfach diese Freiräume, um wirklich denken zu lernen, in der Form gar nicht mehr gibt. Also das eine ist die (unv.-Frage #00:25:08-0#). Das andere ist natürlich, was die einzelnen Lehrenden auch tun können. Und da ist es wichtig, dass wir einen möglichst diskursoffenen Raum in unseren Seminaren schaffen, dass wir Studierenden grundsätzlich, wenn sie Argumente äußern, diesen Argumenten und vor allem natürlich auch den Studierenden als Person dann mit Wertschätzung gegenübertreten, niemanden runtermachen, niemanden bloßstellen, sondern, wenn jemand ein Argument bringt, was nicht haltbar ist, die Person selbst am besten dorthin führen, indem man entsprechende Fragen stellt, dass jemand dann merkt, warum es nicht haltbar ist. Und teilweise kann man ja auch sagen: „Okay, das ist deine Argumentationskette, jetzt zeige ich mal meine Argumentationskette auf.“ Meistens hat die andere Seite dann keine Argumentationskette gehabt. Das heißt, man bringt jemanden zum Nachdenken. Es geht nicht darum, irgendeine Form von intellektueller Überwältigung hier einzuführen, sondern Studierende einfach zum Nachdenken zu bringen. Ich glaube, das ist der beste Weg. Und das einfach regelmäßig zu machen, bis es zu einer absoluten Selbstverständlichkeit geworden ist, alles zu hinterfragen. Und ich bin manchmal auch überrascht, mit welch großen Augen Studierende einen anschauen, wenn man zu ihnen sagt: „In dem Moment, indem Sie zu einem Thema fast nur noch die gleichen Argumente hören, müssen Sie ganz dringend nach anderen Argumenten schauen, weil in dem Moment stimmt irgendwas nicht mehr. Das gibt es einfach nicht, dass es so einseitig ist, und das ist auch nicht gut. Dann sind wir am falschen Weg. Also schauen Sie ganz bewusst nach anderen Argumenten, einfach als geistige Herausforderung.“ #00:26:35-0#

(Musik) #00:26:41-9#

Sandra Kostner: Also der Hauptunterschied zwischen der 68er-Generation und dem, was wir heute sehen, ist, dass die Studierenden tatsächlich damals gegen das System opponiert haben, was ja wirklich an vielen Punkten verkrustet war. Und heutzutage kommen diese Bewegungen aus dem System selbst heraus. Also sie werden ja insbesondere von Agendawissenschaftlern vorangetrieben und an die junge Generation weitergegeben. Und was macht eine junge Generation? Sie wendet sich entweder dagegen. Das ist in gewisser Weise, was die 60er, nur in die andere Richtung, gemacht haben, sie haben sich dagegen gewendet. Man nimmt dieses Programm einfach an, vielleicht auch, weil es Orientierung und Identität stiftet, und weil es einfach bequem ist. Man schwimmt halt so mit. Man ist ja nicht besonders intellektuell herausgefordert, wenn man einfach da mit dem Strom schwimmt, die Textbausteine abliefert, die man abzuliefern hat. Oder man radikalisiert etwas. Und ich glaube, das ist etwas, was wir auch bei Studierenden sehen, dass die teilweise natürlich dann auch dieses Programm, was sie schon vorfinden, nochmal radikalisieren, weil sie auch merken, welche Macht ihnen zuwächst auf einmal. Ich kann ja als Erstsemester von nichts eine Ahnung habend, den renommiertesten Forscher in einem Feld moralisch raushauen, indem ich ja nur sage: „Ja, aber das ist moralisch schlecht, das zu sagen.“ Ich muss gar nichts mehr wissen. Das heißt, es ist auch eine gewisse Macht, die man haben kann, ohne Anstrengung. Das ist doch eigentlich wunderbar für manche. Das ist auch eine Persönlichkeitsfrage. Und andere, die sich dann tatsächlich auch voll und ganz damit identifizieren und sagen: „Ja, aber die gehen ja noch nicht weit genug. Das Ganze muss ja noch viel weiter gehen. Da gibt es ja noch andere Begriffe, die auch nicht gesagt werden dürfen.“ Und das/ nein. Also Frauen allein dürfen sich zu so einem Thema auch nicht äußern, sondern wenn es eine afroamerikanische Frau betrifft, dann dürfen sich auch nur afroamerikanische Frauen äußern. Also man kann das ja dann immer nochmal feinziselieren und noch enger schnüren. Und ich glaube, das ist wirklich der große Unterschied, dass die 68er, jetzt wirklich Studierende gegen Lehrende insbesondere waren und jetzt das ideologisch viel verschmolzener ist zwischen Lehrenden und Studierenden. Und die Studierendengeneration jetzt, auch insgesamt ist, würde ich sagen, deutlich angepasster als die 68er-Generation. Das hat auch mit dem Unisystem zu tun. Also heute schauen die ja viel mehr darauf, wie komme ich denn möglichst schnell und gut durch das System und kriege gute Noten? Das war damals gar nicht so wichtig, konnten sich ja viel mehr Zeit lassen mit dem Studium und geistig was entwickeln und entfalten. Und es war natürlich auch eine andere Studierendengruppe. Es war in der Form noch nicht die Massenuni. Die fing zwar da so langsam auch an, aber es war ja trotzdem nur ein Bruchteil eines Jahrgangs, der studiert hat. Und man hat sich damals auch, das, was ich darüber gelesen habe und auch in vielen Gesprächen mit Zeitzeugen gehört habe, einfach intellektuell auf einem hohen Niveau gestritten. Und das kann man heutzutage nicht mehr sagen. Man streitet sich ja nicht intellektuell auf einem hohen Niveau, weil man geht ja gar nicht in die Argumente, sondern man geht ja einfach nur auf die persönliche Ebene runter. Und das ist einfach ein ganz großer Unterschied. Also damals hat man in der Funktionslogik der Universität agiert, weitgehend zumindest. Natürlich gab es auch die Sit-Ins und so weiter und so fort und das Niederbrüllen, klar. Aber trotz allem, es ging schon auch stark um Argumente auszutauschen und dadurch was zu verändern. Auch wenn es radikal war, aber das war innerhalb der Funktionslogik der Universität. Und heutzutage, dadurch, dass es sehr stark über die persönliche Ebene und Gefühlsebene geht, ist man aus der Funktionslogik der Universität heraus. Und das untergräbt eigentlich die Existenzberechtigung dann auch von Universitäten. #00:30:09-0#

(Musik) #00:30:14-8#

Sandra Kostner: Kein Thema, für das ich jemals so angegriffen worden bin, wie für meine Argumentation gegen Genderquoten. Es gibt immer mal wieder Zuschriften, die man aus der Wissenschaft bekommt, teilweise aber auch von außerhalb der Wissenschaft, wo einem dann eben vorgeworfen wird, ja, wenn man gegen Quoten ist, dann ist man ja sofort auf der AfD-Linie unterwegs, dann ist man anschlussfähig und rechts, das ist problematisch, dann wird man zu einer umstrittenen Wissenschaftlerin. Ja, das sind ja so die klassischen Vokabeln, mit denen man zum Abschuss freigegeben wird. „Problematisch“, „umstritten“, sind die am häufigsten verwendeten. Und wie ich damit umgehe, ist zum einen, weil ich das wieder als Herausforderung erlebe. Inzwischen hat sich das ein bisschen abgenutzt, weil man es einfach durchanalysiert hat. Aber gerade am Anfang fand ich es unglaublich spannend, warum jemand auf ein sachlich vorgetragenes Argument – was übrigens eins zu eins in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz ist, mit Artikel 3, Absatz drei des Grundgesetzes – wie also jemand mit so persönlichen Angriffen, die auch sachlich überhaupt nicht haltbar sind, reagieren kann. Und ich glaube, wie ich auch damit umgehe, ist, dass ich eben wieder diese intellektuelle Herausforderung annehme, das analysiere, versuche zu verstehen, warum der Andere so tickt, was die Motivation ist. Und inzwischen bin ich mir aber da ziemlich sicher, insofern, wie gesagt, wird das dann auch manchmal so ein bisschen langweilig, weil sich das ja dann wiederholt. Aber es hilft auch, wenn man einfach für sich verstanden hat, warum der Andere so agiert, um damit umgehen zu können. Für mich ist einfach die einzige Erklärung dafür, wer auf diese Art und Weise agieren muss, indem er mich als Person angreift und sich überhaupt nicht mit meinen Argumenten auseinandersetzt, der ist emotional zu sehr gefangen im Thema. Also wissenschaftlich hat er nicht die Distanz, um sich eigentlich überhaupt sachlich hier einzubringen. Es geht ihm auch nicht um Wissenschaft, sondern es geht um eine gesellschaftspolitische Agenda, was nicht zur Wissenschaft passt. Und vor allem, er hat keine Gegenargumente. Also wer gute Gegenargumente hat, muss niemanden persönlich angreifen. Insofern ist das immer ein Zeichen der Schwäche. #00:32:18-0#

Sandra Kostner: Also dieses mit dem rechts, das finde ich einfach so lächerlich. Und vor allem, das ist ja so eine Allerweltsabwertung geworden, die so inhaltslos ist, dass ich inzwischen sage, das sagt mehr über diejenigen aus, die einen labeln, als über mich. Und ich weiß, dass ich nicht rechts bin. Und wenn einer denkt, er muss auf das Niveau herabsinken, dass er einen als rechts labelt, weil er mit den Argumenten sich nicht auseinandersetzen will oder kann, dann sagt das eben entsprechend über die Person aus und da kann ich mir einfach sagen, das stehe ich drüber. Das ist, wie man im Englischen sagt, „water off a duck’s back“. #00:32:50-0#

Sandra Kostner: „Das mache ich nicht.“ Und ich weiß auch noch, in der Grundschule sollten wir so einen Aufsatz schreiben. Das war dritte, vierte Klasse. „Was mache ich, wenn der Strom ausfällt und kein Licht mehr da ist?“ Ja? Es war wohl die Aufgabe, lustige Geschichten schreiben, wie man irgendwie Apfelsaft mit Essig verwechselt und so weiter. Und ich fand die Fragestellung doof und habe einfach nur einen Satz geschrieben: „Dann warte ich, bis es wieder angeht.“ Und dann die Lehrerin: „Aber das ist doch nur ein Satz. Und das ist doch kein richtiger Aufsatz.“ Meinte ich: „Ja, aber ich finde die Frage blöd.“ Also sowas. Menschen auch herausfordern oder auch zu sagen, dass ich das jetzt blöd finde. Das war natürlich jetzt nicht so artikuliert mit neun Jahren oder so. Das würde ich heute natürlich so nicht formulieren, das ist klar. Aber ich glaube, das zeigt so ein bisschen, ja, was in der Persönlichkeit angelegt ist. #00:36:02-0#

Sandra Kostner: „Du musst das so machen!“, dann habe ich es bewusst nicht gemacht. Es gibt einen zweiten Satz, den ich in der Kindheit / Oder vielleicht sogar ist es der Satz, den ich in der Kindheit mehr gehört habe als alles andere, ist: „Aber neugierig bist du nicht.“ Oder: „Du bist zwar nicht neugierig, willst aber alles wissen.“ Also ich bin auch da durch die Nachbarschaft gelaufen und habe die Leute immer gefragt: „Was machst du da?“ Und: „Warum machst du das?“ Und das haben mir auch später immer Nachbarn noch erzählt, als ich dann schon erwachsen war, wie ich dann immer durch die Gärten da gelaufen bin auf dem Land und die fanden das natürlich irgendwie süß, ja, die Kleine, die da mit ihren vier, fünf Jahren schon ankam und dann immer gefragt hat: „Warum machst du das?“ Und ja, wahrscheinlich ist es auch angelegt. Also diese Mischung aus Rückgrat und Neugier. Meistens, wenn man ein Kind ist, bekommt man da positive Rückmeldungen. Und das ist ja auch wieder etwas, was Selbstbewusstsein dann aufbaut in dem Punkt, ja. Und wenn man das irgendwie, glaube ich, einfach sehr früh einübt, dann passt es ja auch zur eigenen Persönlichkeit. Und ich glaube, das ist immer wichtig, dass es eben auch zur eigenen Persönlichkeit passt, sonst hat man zu viele Dissonanzen und kämpft immer gegen sich selbst. Und das ist mir wichtig, mit sich selbst auch im Reinen zu sein, also die eigene Integrität. Sonst führt man ja einen permanenten Kampf gegen sich und das ist eigentlich fatal. Was natürlich hilft, ist einfach auch ein unterstützendes Umfeld zu haben, gute soziale Kontakte, dass man sich auch mit den Themen, auch den Debatten und Auseinandersetzungen, die man führt, nicht zu sehr identifiziert, dass man sich freimachen kann. Also dass man aus so einer Debatte auch rausgeht. Natürlich schwingt sie erst mal noch nach, aber dass sie einfach nicht zu einer Belastung wird, sondern wenn man bei einer Veranstaltung war, dann fährt man nach Hause, dann lasse ich das noch durch den Kopf gehen. Meistens laufe ich dann noch ein Stück und wenn ich daheim bin, ist das eigentlich dann schon wieder abgeschlossen. Das ist aber wahrscheinlich auch eine Persönlichkeitsfrage, wie nahe man das an sich heranlässt. Bis zu einem gewissen Teil kann man das, glaube ich, schon auch einüben, indem man das immer wieder reflektiert und sich bewusst macht, was kann ich denn für mich tun, damit es für mich nicht zu einer Belastung wird? #00:38:05-0#

(Musik) #00:38:10-6#

Sandra Kostner: Also Menschen haben, glaube ich, schon auch eine Neigung dazu, sich nicht zu sehr mit Unangenehmen auseinanderzusetzen. Und das Unangenehme ist ja schnell auch der Andersdenkende, wenn man das nicht gewohnt ist und es einem auch Freude macht, in diesen Austausch zu gehen, dann erlebt man das oft als Herausforderung, dass Dinge, die man selbst als wahr erachtet, die einem vielleicht selbst auch sehr viel bedeuten, von jemand anderem nicht geteilt werden. Und dann muss ich argumentieren können und viele sind überhaupt nicht argumentationsfähig. Und das ist auch ein ganz großes Manko in unserem Schulsystem, auch im Hochschulsystem, dass wir Studierenden, Schülern, Schülerinnen, Studierenden nicht hinreichend beibringen, wie man wirklich gut auf Argumente reagiert, nämlich, indem man die Argumente erst mal ernst nimmt, nicht einfach zur Seite schiebt, sondern die Argumente erst mal ernst nimmt, was jemand sagt, und dann darauf abklopft, inwiefern sind sie denn tragfähig? Und dann auch sieht, aha, da sind sie vielleicht tragfähiger als mein eigenes Argument, da muss ich nachschärfen. Ja? Und das wird viel zu wenig eingeübt und viele merken es natürlich nicht, weil die hinterfragen überhaupt nichts und merken ja gar nicht, wie stark sie eigentlich in Blasen drin sind. #00:39:40-0#

„Ich sehe das auch so und ich finde es ja total mutig, wie du das sagst.“ Dann sage ich: „Wieso sagst denn du das nicht?“ „Hm, ja, hm.“ Ja? Also man möchte da gar nicht irgendwie in unangenehme Situationen kommen. Das heißt also, in Teilen, glaube ich, ist es eine Vermeidungshaltung aus den Sorgen, dass man dann in Schwierigkeiten kommen könnte, dann aber auch, man sollte nicht vergessen, selbst diejenigen, die es im eigenen Studium so erlebt haben, sind natürlich in einem System, in dem die Lehre nicht besonders hochgeschätzt wird. Also wir haben 83 Prozent aller Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler befristet beschäftigt, auch sehr viele Lehrende befristet beschäftigt. Auf Grund des Wissenschaftszeitvertragsgesetz ja auch nur sechs Jahre vor, sechs Jahre nach der Promotion, und für Kinder gibt es dann noch mal Zusatzjahre, wenn man die betreut. Aber es ist ein fester Rahmen. Es gibt halt relativ wenige Anschlussoptionen mit festen Stellen. Das heißt also, wir haben natürlich auch besonders viele junge Lehrende im System drin. Ich nenne sie manchmal auch eine Form von akademischem Kanonenfutter, ja? Man würde das eigentlich, stellen Sie sich das mal vor, in der Schule machen. Man würde jemanden nehmen, der ist gerade ausgebildet, würde dem null didaktische Ausbildung geben, würde sie in die Schule stecken für sechs Jahre, dann könnten sie noch mal sechs Jahre verlängern, wenn sie eine Promotion hätten oder eine andere Leistung in der Schule erbracht hätten, und dann wäre für die meisten Schluss. Da bekommen sie natürlich nicht die absolute Qualität, auch in der Lehre. Und das ist, auch am Anfang ist man verunsicherter auch. Und ich kenne das ja auch selber noch, da ist man auch vom Alter noch näher dran, da möchte man ein bisschen mehr auch der Kumpel der Studierenden sein. Ja, da geht man dann nicht in diese Auseinandersetzungen, beziehungsweise man hat auch noch nicht genug Wissen und Standing, um das dann kompetent machen zu können. #00:41:22-0#

(Musik) #00:41:28-4#

Also ich habe ja letztes Jahr das initiiert. Wir sind im Februar an die Öffentlichkeit gegangen, das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit. Ich glaube, letztes Jahr im September, als wir uns zum ersten Mal physisch getroffen haben, waren wir ungefähr 25 Personen. Und als wir jetzt an die Öffentlichkeit gegangen sind Anfang Februar 2021 waren wir dann siebzig und inzwischen sind wir fast sechshundert. Also da gibt es doch einen sehr großen Zuspruch. Und ganz interessant ist, dass sehr viele gesagt haben, wie wohltuend es ist, zum ersten Mal wieder mit einer Gruppe von Menschen so offen auch über alles reden zu können und zu wissen, man ist nicht alleine. Man hat einfach gemerkt, wie viele Kolleginnen und Kollegen sich über die Jahre schon sehr alleinstehend gefühlt haben. Und das ist natürlich nicht gut, weil das ja auch die innovative und kreative Kraft der Wissenschaft hemmt. #00:42:16-0#

„Ups, meine Freiheit wird da eingeschränkt.“. Er sagt das einfach, nein, wir wollen dann schon sehen, was ist denn genau hier los? Und wenn es dann klar ist, hier gibt es einfach sehr klare Anzeichen, dass das, was die Person sagt, also „Hier wird meine Freiheit eingeschränkt.“, dann schauen wir auch, was wir in dem konkreten Fall für jemanden tun können. Und das müssen keine öffentlichkeitswirksamen Tätigkeiten sein. Es kann auch sein, dass man im Hintergrund einen Brief an eine Hochschulleitung schreibt oder an ein Dekanat schreibt. Aber es kann natürlich auch mal sein, dass man einen Fall – aber natürlich dann immer in Absprache mit der Person, die das betrifft, weil das möchte ja auch nicht jeder – dann mal an die Öffentlichkeit bringt, weil sehr häufig passiert das ja auch unterm Radar, und so lange kann der Druck aufgebaut werden. Aber in dem Moment, wenn sowas öffentlich wird, ändert sich das, weil die Öffentlichkeit mehrheitlich nicht hinter diesen ideologischen Einschränkungen steht. #00:44:23-0#

Sandra Kostner: „Meine Güte, ist das mutig, ja, dass du sowas machst.“ Dass man zeigt, man kann das machen, man muss nicht so mutig sein. Ich glaube, alleine das Gefühl, was bei vielen inzwischen vorherrscht, es erfordert Mut, überhaupt etwas Abweichendes zu sagen oder zu tun, schreckt ja schon ab. Und zu zeigen, schaut mal, Leute, das geht aber. Ja, man muss vielleicht die eine oder andere Kloppe einstecken an dem Punkt. Aber man kann das überstehen und man wächst daran. Und in der Hoffnung, dass andere dem Beispiel dann auch folgen oder sich innerlich auch wieder freier fühlen, ihre innere Freiheit auch wieder in Anspruch nehmen und somit auch die äußere Freiheit aller anderen Hochschulangehörigen unterstützen und verteidigen. #00:45:41-0#

(Outro) #00:46:38-8#